Patienten können seit Kurzem freier zwischen Arzneien mit gleichem Wirkstoff wählen. Das kann teuer werden

Es hört sich gut an, was die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag formuliert hatte: Man wolle die individuellen Wahlmöglichkeiten der Krankenversicherten erweitern, etwa bei der Entscheidung zwischen verschiedenen Medikamenten. Dabei sollten die Patientinnen und Patienten jedoch nicht überfordert werden. Freiheiten ohne Nachteile, so das Versprechen.
Wenige Monate nachdem die Regierung diese Vorgabe in das Arzneimittel­­marktneuordnungsgesetz (AMNOG) gegossen hatte, ziehen die Beteiligten ein eher enttäuschendes Fazit. Zwar sind die Wahlmöglichkeiten tatsächlich gestiegen. Doch anders als angekün­digt, fühlen sich jene Patienten, die ihre Freiheiten genutzt haben, durchaus überfordert. Das betrifft sowohl das Verstehen der zugehörigen Regeln als auch die finanzielle Eigenleistung.
Ebenfalls negativ fällt die Bilanz bei Krankenkassen und Apothekern aus. „Gut gemeint, aber schlecht gemacht“, so fasst es beispielsweise Kirsten Müller-Kuhl zusammen, die Sprecherin des Hessischen Apothekerverbands. Um die Ausgaben der Krankenkassen für Medikamente zu senken, hatten die verschiedenen Bundesregierungen in den vergangenen Jahren einige Refor­­men umgesetzt, die zugleich die Wahlfreiheit von Ärzten, Patien­ten und Apothekern begrenzten.

So müssen die Apotheker ihren Kunden eines der drei preiswertesten Medikamente mit demselben Wirkstoff geben, wenn der Arzt auf dem Rezept einen Austausch erlaubt. Zudem dürfen Kassen Rabattverträge mit Herstellern abschließen – mit der Folge, dass Patien­ten unter wirkstoffgleichen Präparaten oft nur noch das eines oder mehrerer bestimmter Hersteller erhalten.
Diese Vorgaben hatten viele Patien­ten, die teils mehrfach auf neue Präparate umstellen mussten, verunsichert. Entsprechend stärker war die Beratung durch Apotheker gefordert. Die Gesetzesänderung zum Jahreswechsel sollte deshalb jenen Menschen entgegenkommen, die lieber bei ihrem gewohnten Medikament bleiben wollen. Zielrichtung: Die Patienten können sich für ihre „Wunscharznei“ entscheiden, wenn sie die Mehrkosten gegenüber einem wirkstoffgleichen, aber preisgünstigeren Präparat selbst tragen, das ihnen der Apotheker nach Vorschrift eigentlich geben müsste.
Die Krankenkassen lehn­­ten diese Möglichkeit von vorn­herein ab. Sie befürch­­ten eine „Unterhöhlung“ ihrer Rabattverträge. Für den Patienten birgt das Verfahren große Unsicherheiten: Er muss zunächst den vollen Preis für die Wahlarznei bezahlen und anschließend versuchen, einen Teil der Kosten von der Kasse zurück­zuholen. Denn der Begriff „Kosten­erstat­tung“, den Politiker diesem Vorgehen verpassten, ist eine Mo­gel­packung. Korrekt wäre „Teilkos­­ten­­er­stat­­tung“ – häufig bekommen die Patien­ten nicht einmal die Hälfte des Arzneipreises zurück. „Wenn wir den Kunden diese Unsicherheiten erklärt haben, machen die meis­ten ­wieder einen Rückzieher“, erzählt Fritz ­Becker, Apotheker in Pforzheim und Vorsitzender des Deutschen Apo­the­ker­­­ver­­bands.

Das erklärt, warum die Patienten von ihrer Wahlfreiheit kaum Gebrauch machten. Gerade einmal 300 Erstattungsanträge gingen etwa bei der Techniker Krankenkasse mit ihren 7,6 Millionen Mitgliedern bis Ende Februar ein, 600 waren es bei den 6 Millionen Ver­sicherten der Deutschen Angestellten-Krankenkasse, berichten Unternehmenssprecher. Auch die AOK spricht von einer „fast mikroskopisch kleinen“ Nachfrage. Unter den größeren Krankenkassen verzeichnete lediglich die Barmer GEK einen hö­­heren Andrang.
Zu der Pleite trug auch das allgemeine Informations-Chaos rund um die „Mehrkostenregelung“ bei. Weil das Gesetz erst zwei Wochen vor Jahresende in Kraft trat, haben viele Kassen bis heute nicht geregelt, wie hoch die Erstattung ausfällt. Bei anderen genehmigte das Bundesversicherungsamt Satzungsänderungen nicht, die der Verwaltungsrat beschlossen hatte. Daher behalfen sich die meisten Ver­siche­rungen zunächst mit Übergangsregelungen.
Diese fielen jedoch sehr unterschiedlich aus. Denn die Krankenkassen wollen nicht verraten, wie hoch die mit den Herstellern ausgehandelten Rabatte sind – aus Wettbewerbsgründen, wie sie argumen­tieren.
Die Apotheker haben in dieser Situation keine Chance, den Patienten zu mehr Durchblick zu verhelfen. Nicht nur, dass sie die Rabatte nicht kennen. Sie können auch unmöglich die unterschiedlichen Modalitäten der fast 150 Krankenkassen überblicken, von denen einige die Regeln bereits wieder ändern. Die Kassen erstatten dem Patienten üblicherweise eine Pauschale zurück, die unterschiedlich hoch ausfällt und noch dazu gestaffelt sein kann. Meist verlangen sie darüber hinaus eine Verwal­tungs­gebühr sowie, falls das Medikament unter diese Kategorie fällt, die gesetzliche Zuzahlung.
Immerhin müssen die Patienten seit April nicht mehr für Hersteller-, Großhandels- und Apothekenrabatte geradestehen, die ihnen beispielsweise die AOK Baden-Württemberg berechnet hatte. Dennoch stochern sie im Nebel. Und oft deckt die Erstattung der Krankenkasse nicht einmal die Hälfte des Betrags, den sie für ihr Wahlmedikament bezahlt haben.

„Wir sprechen das Thema nicht von uns aus an“, betont Fritz Becker, „und wenn ein Kunde danach fragt, klären wir ihn ehrlich auf. Dann hat sich die Sache meist erledigt.“ Becker ist zwar grundsätzlich dafür, dass Patienten gegen Aufpreis ein anderes Medikament wählen dürfen – aber nur, wenn es möglich ist, diesen gleich in der Apo­the­ke zu bezahlen. Dann würden sie die Mehrkosten kennen und informiert ihre Entscheidung treffen. „So wie die Sache jetzt abgewickelt wird, können wir jedoch keinem zuraten“, sagt Becker, „denn damit würden wir vielen einen Bärendienst erweisen.“

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