Sie galt früher als Geheimtipp bei Darmerkrankungen. Heute spielt die Pflanze nur noch in der Homöopathie eine Rolle

König Ludwig XIV. gab gerne Geld aus, sogar für ein rätselhaftes Heilmittel. Im Jahr 1688 kaufte der französische Monarch dem holländischen Arzt Johann Adrian Helvetius ein mysteriöses Pulver gegen Darmerkrankungen ab. Die seltsame Medizin stammte aus den Wurzeln der Ipekakuanha-Pflanze. In deren südamerikanischer Heimat nutzten die Einheimischen das Mittel schon lange bei Magen-Darm-Erkrankungen.

Von der Heilpflanze, die bei uns heute als Brechwurzel bekannt ist, berichteten in Europa zeitgleich der Arzt Willem Piso aus den Niederlanden und der deutsche Botaniker Georg Marcgraf. Die ersten Proben brachte aber vermutlich 1672 ein Südamerika-Reisender über den Atlantik. Er soll die Medizin der Indianer, so die Legende, in Paris einem Apotheker übergeben haben. Auf Umwegen sei sie schließlich bei Helvetius gelandet, der sich sogleich das Recht des Alleinverkaufs für die brasilianische Wurzel sicherte.

„Der clevere Mediziner wendete sie als Mittel gegen Entzündungen des Dickdarms an, vor allem gegen die Ruhr“, erzählt Hans-Joachim Winckelmann, emeritierter Professor des Instituts für Geschichte der Medizin der Universität Ulm. Über die Herkunft des neuen Wundermittels schwieg sich Helvetius allerdings aus.

Gold für das Wundermittel

Seine Geheimniskrämerei machte sich bezahlt, denn „damit erweckte er das Interesse des Sonnenkönigs Ludwig XIV. Tausend Louisdor ließ es sich der Herrscher kosten, an das Mittel zu kommen.“ Ein beachtlicher Preis, immerhin bestanden die Münzen aus 22-karätigem Gold und wogen pro Stück 6,7 Gramm. Dass dem französischen Monarchen tatsächlich so viel an der Gesundheit seines Volkes lag und dass er aus reiner Nächstenliebe handelte, bezweifelt Winckelmann allerdings. Die Medizin sollte viel eher dem Heer nützen und die Soldaten gesünder und schlagkräftiger machen.

Gut hundert Jahre später gelang es französischen Forschern, aus dem Pflanzenmaterial ein hochwirksames, aber auch giftiges Alkaloid zu isolieren, das sie Emetin nannten. „Emetin hat einen antiparasitären Effekt, wodurch sich die Wirkung bei verschiedenen Magen-Darm- und Wurmerkrankungen erklärt“, sagt Winckelmann. Hoch dosiert löst ein Sirup aus der Wurzel außerdem Brechreiz aus. Wurde er direkt nach einer Vergiftung verabreicht, konnte diese Wirkung den Patienten zugutekommen, da sie einen Teil der aufgenommenen schädlichen Substanz erbrachen.

Mit der Zeit nahm die Bedeutung des Mittels für die Notfallmedizin aber ab. Professor Thomas Zilker von der Toxikologischen Abteilung der Medizinischen Klinik an der Technischen Universität München berichtet: „Den Ipekakuanha-Sirup brauchen wir heute bei Vergiftungsfällen nur noch selten.“ Er wirke nämlich nur, wenn man ihn nicht später als eine Stunde nach der Giftaufnahme verabreiche.

Globuli gegen Übelkeit

Sinnvoll erscheine der Einsatz der Brechwurzel ohnehin nur dann, wenn große Mengen und gefährliche Gifte aufgenommen wurden. Zilker: „Vereinzelt wenden wir sie noch bei Kindern an.“ Zum Glück gelange der Nachwuchs dank kindersicherer Drück-Drehverschlüsse an Medikamenten- Fläschchen und Haushaltsreinigern nur noch selten an größere Giftmengen.

Wenn uns heute in der Apotheke die Brechwurzel begegnet, dann meistens unter dem Namen Ipekakuanha: Bei Magen-Darm-Problemen, vor allem bei anhaltender Übelkeit mit Erbrechen ohne Erleichterung, schwören die Anhänger der Homöopathie noch immer auf die Wunderarznei des Sonnenkönigs.

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