Wie Mathematiker Chirurgen bei der Planung komplizierter Eingriffe unterstützen

Schöne Menschen haben es im Leben oft leichter. „Sie erhalten als Babys mehr Zärtlichkeit, werden in der Schule besser benotet und haben bei einem Bewerbungsgespräch die besseren Karten“, sagt Professor Peter Deuflhard vom Zuse-Institut Berlin (ZIB). Äußerlichkeiten zählen heute fast überall. Darunter leiden Menschen, die im Gesicht entstellt sind, besonders stark. 
 
Prognosen bislang schwierig
 
Ihre Hoffnung setzen viele von ihnen in eine chirurgische Korrektur. Dabei stellt sich die zentrale Frage: Wie werde ich hinterher aussehen? Bislang konnten Ärzte darauf keine sichere Antwort geben. „Wenn bei dem Eingriff auch Weichteilgewebe betroffen ist, sind Vorhersagen sehr schwierig“, betont Professor Martin Klein, stellvertretender Direktor an der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Charité Berlin. Sowohl Chirurg als auch Patient sehen das endgültige und bleibende Ergebnis oft erst nach der Operation. 
 
Die Arbeitsgruppe um den Mathematiker Deuflhard hat nun eine Methode entwickelt, um die Ergebnisse solcher Operationen besser vorhersagen zu können. Die Planung des Eingriffs beginnt im „virtuellen Labor“. Aus den Daten des Patienten erstellen die Wissenschaftler eine dreidimensionale Abbildung am Computer. Rund eine viertel Million Einzelwerte bestimmen dabei, wie das Gewebe die Knochen überzieht.
 
Komplexe Berechnungen ermöglichen es, das Weichteilgewebe des virtuellen Patienten zu modellieren. Dadurch kann das Ergebnis des Eingriffs dreidimensional und in hoher Qualität dargestellt werden, noch bevor der Chirurg den ersten Schnitt gesetzt hat. Ärzte können auf diese Weise verschiedene Varianten der Rekonstruktion ausprobieren. Dem Patienten fällt es dank der mit dem neuen Verfahren gewonnenen 3-D-Abbildungen leichter, sich die Auswirkungen der Operation vorzustellen und die Risiken abzuschätzen. Außerdem kann er unter verschiedenen möglichen Ergebnissen die bevorzugte Lösung auswählen. 
 
Medizin und Mathe im Dialog
 
Eine gute Zusammenarbeit zwischen Mathematikern und Medizinern ist dabei Voraussetzung. „Im Dialog mit den Kollegen besprechen wir, wo genau unsere Probleme im Operationssaal liegen. Die Mathematiker suchen dann nach Lösungen, die in der Anwendung möglichst simpel sein sollten“, sagt der Chirurg Martin Klein. Das Verfahren wird bisher vor allem in der Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie eingesetzt. „Bei deutlichen Verzerrungen des Unterkiefers, in der Unfallchirurgie und bei Entstellungen infolge einer Krebserkrankung haben sich die virtuellen Modelle bereits bewährt“, berichtet Deuflhard.
 
Zudem haben Kliniker die Technik schon angewendet, um Schädelverformungen bei Säuglingen (Craniosynostosen) zu korrigieren. Derartige Deformationen treten auf, wenn die Schädelplatten bei der Geburt zusammengewachsen sind und eine starre Einheit bilden. Ohne ärztliches Eingreifen können diese Babys im schlimmsten Fall nach kurzer Zeit geistig geschädigt sein, da das schnell wachsende Gehirn gegen die Schädelschale drückt.
 
Probleme bereitete bisher, dass die Operateure nicht genau wussten, an welchen Stellen sie die einzelnen Knochenplatten auftrennen sollten. Verformte Schädel konnten die Folge sein. „In der Computersimulation sehen die Chirurgen nun, wie sie vorgehen müssen, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen“, berichtet Deuflhard. Den Kindern können die Wissenschaftler mit diesem Verfahren zu einem unauffällig geformten Schädel verhelfen.
 
Fortschritt in der Chirurgie
 
Martin Klein ist von den neuen virtuellen Methoden überzeugt: „Dass wir Operationsergebnisse nun auch bei Weichteilgeweben immer besser simulieren können, wird die Chirurgie revolutionieren.“ Peter Deuflhard plant inzwischen schon den Einsatz bei Operationen im Kniebereich.
 
Bildnachweis: PhotoDisc/RYF