Menschen essen nicht nur, wenn sie hungrig sind. Tipps, wie Sie übermäßge Schlaraffenland-Gelüste zügeln

Eigentlich ist alles bestens geregelt. Unser Körper hat keine Probleme damit, sein Gewicht über Jahre zu halten. Kalorientabelle und Waage braucht er nicht – im Normalfall isst der Mensch weder zu viel noch zu wenig. Dafür sorgt der Hypothalamus – eine Schaltzentrale im Zwischenhirn, die die Nahrungsaufnahme über Start- und Stoppsignale steuert. Den Startschuss zum Schmausen geben Hunger und Appetit; Sättigungsgefühle beenden das Mahl.
 
Hunger oder Appetit? 
 
„Hunger ist ein elementares Gefühl“, sagt der Ernährungsmediziner Professor Hans Hauner von der Technischen Universität München. „Er entsteht, wenn die Energiespeicher des Körpers aufgebraucht sind, und soll den Körper am Leben erhalten.“  
Wer echten Hunger hat, ist daher nicht wählerisch, sondern greift zu allem, was sich ihm bietet. Doch wahren Hunger, behauptet Hauner, kenne unsere Wohlstandsgesellschaft nicht. Den Appetit dafür umso besser!
 
Appetit ist die Lust auf Essen, das gezielte Verlangen nach bestimmten Speisen. Die Gelüste nach Süßem oder das Lechzen nach Saurem führen uns zum Genuss. Zugleich verschaffen sie dem Körper aber auch jene Speisen, deren Inhaltsstoffe er braucht. Das zeigten Versuche mit Mäusen, denen bestimmte Nährstoffe fehlten. Bot man ihnen verschiedene Futtersorten an, wählten sie zielsicher jene aus, die die fehlenden Stoffe enthielt.
 
Mehr als nötig 
 
Hunger wird ausschließlich durch Vorgänge im Körper verursacht. Esslust wird dagegen überwiegend durch äußere Einflüsse geweckt: Hmm – wie köstlich der Apfelkuchen duftet! Und wie zart das Nierchen ist! Geruch, Geschmack, Aussehen und Beschaffenheit der Speisen machen Appetit. Oft geben wir den Essgelüsten nach, um bestimmten Gefühlen Genüge zu tun. Wir essen aus Kummer, Frust oder Wut. Appetit bedeutet in solchen Fällen „seelischer Hunger“. Kurzum: Esslust ist körperlich sowie psychisch begründet und hängt ab von zahlreichen äußeren Einflüssen. 
 
Dass Menschen heute weit über den Hunger hinaus essen und überdurchschnittlich oft übergewichtig sind, liegt nach Ansicht von Ernährungsexperten an unserem entwicklungsgeschichtlichen Erbe. So ist der Werdegang der Menschheit größtenteils von Mangel bestimmt. Wenn überhaupt Nahrung zur Verfügung stand, wurde sie sofort verspeist.  
 
Zur Maßlosigkeit verführt
 
Seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts sind die Tische in der westlichen Welt aber übervoll. „Wir leben im Schlaraffenland“, fasst Professorin Susanne Klaus vom Deutschen Ernährungs institut in Potsdam-Rehbrücke den Überfluss unserer Wohlstandsgesellschaft zusammen. „Unser Körper ist aber immer noch auf Mangel programmiert.“
 
Mit Überfluss kommt er schlecht zurecht – und somit auch mit unseren modernen energiereichen Speisen. Sie verwirren den gesunden Appetit und verführen zum maßlosen Essen. Künstliche Aromen, farbige Zuckerglasuren und Geschmacksverstärker machen unempfindlich für Sättigungssignale und stiften an zu einer weiteren Handvoll Chips oder zum zweiten Stück Torte. Statt des Körpers steuert häufig die Psyche das Essverhalten. Meist essen wir also nicht, weil wir hungrig sind, sondern aus den unterschiedlichsten Gründen. Den Körper bringt das zunehmend aus der Form.
 
Immerhin – fehlgeleitetem Appetit kann man gegensteuern.

Die besten Strategien, um übermäßigen Appetit zu zügeln:

Die Energiedichte senken

Wohliges Sattsein löst nur ein voller Magen aus, da das Sättigungsgefühl vom Volumen der Mahlzeit abhängt. Ist der Magen gefüllt, drückt das aufgenommene Essen gegen seine Wand. Dieser Reiz wird über Nerven an das Gehirn weitergeleitet, das daraufhin dem Körper signalisiert, die Mahlzeit zu beenden. „Ob wir bis dahin 300 oder 1000 Kalorien verdrücken, ist völlig egal“, erklärt Professor Hans Hauner. Hauptsache, der Magen ist voll!  

Übergewichtigen rät er, „nicht weniger, aber anders zu essen“. Sinnvoll seien voluminöse Lebensmittel mit geringer Energiedichte, die den Magen schnell füllen, also Obst, Gemüse und Vollkornprodukte. Auch Suppen auf Brühenbasis oder Eintöpfe lassen ihn schnell volllaufen, ohne ihn mit Kalorien zu überschwemmen. Denkbar ungeeignet als Sattmacher sind dagegen stark verarbeitete, fettreiche Lebensmittel wie Croissants oder Fertigpizzas. Sie weisen viele Kalorien und wenig Volumen auf.

Kleine Portionen wählen

Auch optische Eindrücke beeinflussen den Appetit. Das belegt ein Experiment an der Cornell-Universität in Ithaca (USA). Die Teilnehmer aßen aus Suppentellern, die automatisch nachgefüllt wurden, ohne dass die Essenden das merkten. So nahmen sie etwa 70 Prozent mehr Nahrung zu sich als normal – ohne sich satter zu fühlen.

„Der Appetit ist ein Gewohnheitstier“, kommentiert Professorin Susanne Klaus. Sie führt das Ergebnis darauf zurück, dass wir gewohnt sind, einen Teller leer zu essen. Sobald etwas vor uns liegt, wird es verputzt – unabhängig von Portionsgröße und Appetit.

Deshalb nur kleine Portionen auf den Teller nehmen. Beim Einkauf von Lebensmitteln sollte man auf die Packungsgröße achten: Großpackungen verführen dazu, weit über den Hunger hinaus zu essen.

Das Angebot verringern

Je größer die Vielfalt der angebotenen Speisen, desto mächtiger der Appetit. Ein üppiges Büffett verführt zu übermäßigem Schlemmen. Auch Tiere sind nicht dagegen gefeit: Ratten, die statt des üblichen Laborfutters eine vielfältige Kost erhalten, fressen deutlich mehr.

Unsere Mahlzeiten sollten daher überschaubar sein. Üppige Büffetts sollten die Ausnahme bleiben. Auch daheim gehört nicht zu viel Verschiedenes auf den Tisch. Es sei denn, Sie wollen an Gewicht zulegen.

Mehr Eiweiß – weniger Fett

Ein voller Magen hält eine Weile satt. Wann sich dieses Gefühl verflüchtigt, hängt ab von der Zusammensetzung des Essens. Eiweiße, Kohlenhydrate und Fette haben unterschiedliche Sättigungskraft.

Studien belegen, dass Eiweiß am meisten sättigt. Fisch, (mageres helles) Fleisch und Hülsenfrüchte beugen dem Hunger also am besten vor.

Auch Vollkornprodukte, Obst und Gemüse halten gut satt. Dagegen verführen Fette – trotz ihres hohen Energiegehalts – bald zum erneuten Essen.

Achtsam essen

Wer sich nach starren Diäten richtet, beendet die Mahlzeit oft, ohne satt zu sein. Das verdirbt die Lust am Essen und erzeugt auf Dauer ein hartnäckiges, unterschwelliges Hungergefühl. Vom Kalorienzählen, sagt Susanne Klaus, halte sie nicht viel. Wer ein Gewichtsproblem hat, sollte lernen, bewusst und achtsam zu essen.

Wer sich Zeit lässt und jeden Bissen auskostet, isst langsamer. Er vertraut den Signalen des Körpers, schärft das Bewusstsein für Sättigungsgefühle. Und das ist richtig, denn im Grunde ist alles bestens geregelt: Von Natur aus isst der Mensch weder zu viel noch zu wenig und erfreut sich eines gesunden Appetits.
 
Apotheken Umschau, Bildnachweis: BananaStock