Forscher haben ein Virus geschaffen, das im Tierexperiment hochansteckend ist. Welchen Nutzen haben solche Versuche?

Es klingt wie das Drehbuch eines Horrorfilms: In einem Labor vereinen Wissenschaftler die gefährlichsten Eigenschaften verschiedener Erreger in einem Virus. Dann veröffentlichen sie ihre Arbeit in einem Fachjournal. Sogleich machen sich Terroristen daran, die Welt mit einer Plage von bislang ungekanntem Ausmaß zu überziehen – und ändern damit den Lauf des Weltgeschehens.

Dieses Szenario stammt nicht aus der Albtraumfabrik Hollywoods. Es wird seit Monaten von Forschern und Sicherheitsexperten ernsthaft diskutiert. Ausgelöst hat die Debatte der niederländische Wissenschaftler Ron Fouchier vom Erasmus Medical Center der Universität Rotterdam.
Zusammen mit Kollegen hat er das Erbgut des Vogelgrippe-Erregers im Labor verändert und ein neuartiges Virus geschaffen. Sollte es jemals freigesetzt werden, so die Befürchtung, könnten Millionen Menschen daran sterben. In der Fachwelt schwelt deshalb seit Monaten ein Streit, ob solche Experimente überhaupt durchgeführt und ihre Ergebnisse veröffentlicht werden sollten.

Das Gremium für Biosicherheit der Regierung der USA (NSABB) hat empfohlen, die wissenschaftlichen Arbeiten zu zensieren, und Virusforscher aus aller Welt haben sich erst einmal auf eine Denkpause geeinigt. Seit Ende Januar führen sie keine derartigen Experimente mehr durch. Um die hitzige Diskussion abzukühlen, hat Fouchier einige Details bekanntgegeben. Demnach seien die von ihm erzeugten Viren im Tierversuch bei Weitem nicht so gefährlich, wie einige Experten befürchten.

Warum machen Virusforscher derart riskante Versuche überhaupt? Und wie gefährlich sind die Keime? Im aktuellen Fall geht es um einen Erreger, den Forscher schon seit Jahren voll Sorge beobachten: das Vogelgrippevirus H5N1. Es infiziert Menschen nur selten – aber dann tötet es mit einer erschreckenden Effizienz.

Seit 2003 haben sich laut der Weltgesundheitsorganisation 573 Menschen mit H5N1 infiziert, fast 60 Prozent von ihnen starben. Zum Vergleich: Der Spanischen Grippe von 1918 erlagen nur etwa zwei Prozent aller Infizierten, aber sie kostete vermutlich mehr als 20 Millionen Menschen das Leben. Der Grund: Der Erreger sprang leicht von Mensch zu Mensch über. Diese Fähigkeit hat das Vogelgrippevirus nicht – bisher jedenfalls.

Die Wissenschaft geht heute davon aus, dass die Grippeviren, mit denen sich Menschen jedes Jahr anstecken, von den Grippeviren der Vögel abstammen. Die Erreger haben sich irgendwann an den Menschen angepasst. Aber wie, das verstehen auch Wissenschaftler nur ansatzweise. Forscher wie Ron Fouchier wollen deshalb mit ihren Experimenten klären, wie leicht das Vogelgrippevirus zur Gefahr für den Menschen wird.

Das Schreckensszenario: ein Virus, das so tödlich ist wie H5N1, sich aber so rasant ausbreitet wie der Erreger der saisonalen Grippe. Die Konsequenzen einer globalen Pandemie mit einem Virus, das 60 Prozent der Infizierten tötet, sind enorm. Es gibt keinen anderen Erreger, der in diese Kategorie fällt.

Zunächst veränderte das Forscherteam um Fouchier das Erbgut von H5N1 gezielt an einigen Stellen, die für die Anpassung an Säugetiere eine Rolle spielen. Dies reichte aber noch nicht aus, um aus dem Vogel- ein Säugetiervirus zu machen. Dafür war ein weiterer Schritt nötig: Die Forscher infizierten ein Frettchen mit dem genveränderten Erreger, entnahmen dem kranken Tier Viren und steckten damit ein gesundes Frettchen an.
Nach mehreren Wiederholungen infizierten sich die Frettchen in benachbarten Käfigen von selbst. Das Virus konnte sich nun über winzige Tröpfchen in der Luft ausbreiten. Allerdings starben die Tiere nicht und zeigten auch keine schweren Krankheitssymptome.

Die leichte Übertragbarkeit beweist zwar nicht, dass sich das Virus auch beim Menschen so verhalten würde – aber dieser Schluss liegt nahe. Das Ergebnis ist schon sehr erstaunlich. Es gab bereits ähnliche Versuche, und man hat bisher nie gesehen, dass das Virus sich so leicht von Säugetier zu Säugetier übertragen lässt.

Kritiker sind deshalb der Ansicht, das Experiment hätte nie gemacht werden dürfen. Sie glauben, der Nutzen dieser Arbeit überwiegt die Risiken nicht. Die Kritiker weisen darauf hin, dass es bisweilen zu Laborunfällen kommt, bei denen sich Wissenschaftler versehentlich mit einem Erreger anstecken. Eine Grippe-Epidemie von 1977 wird auf einen derartigen Laborunfall zurückgeführt. Und in den vergangenen Jahren infizierten sich mehrere Forscher in Asien versehentlich mit dem SARS-Virus.

Um solche Gefahren zu minimieren, wurden die Arbeiten in Rotterdam in einem Labor der zweithöchsten Sicherheitsstufe (BSL-3) durchgeführt. Es ist technisch so ausgestattet, dass Viren nicht in die Umwelt gelangen können.

Außerdem agieren die Forscher schließlich nicht aus rücksichtsloser Risikofreude, kommentieren Fürsprecher. Solche Experimente helfen einzuschätzen, wie gefährlich das Vogelgrippevirus für die Menschheit ist, damit besonders gefährliche Varianten früh erkannt werden können. Es gibt in der Natur vermutlich verschiedene Möglichkeiten für das Virus, sich an den Menschen anzupassen. Jede Antwort, die die Forscher kennen, kann nützlich sein. So ließen sich Vögel, die an der Grippe starben, nun gezielt daraufhin untersuchen, ob die Viren kritische Genveränderungen aufweisen und deshalb besonders gefährlich sind.

Experimente mit Erregern wie H5N1 bergen immer Risiken. Weder Missbrauch noch Unfall lassen sich hundertprozentig ausschließen. Durch Schutzmaßnahmen und gut ausgebildete Forscher ist aber ein sehr hohes Maß an Sicherheit zu erreichen. Außerdem können die Versuche nötig sein, wenn die Menschheit irgendwann von einem höchst gefährlichen Virus bedroht würde – nicht aus der Hand von Terroristen, sondern von Mutter Natur.

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