In China schmückt er die Landschaft. Für Krebspatienten eröffnet der Glücksbaum Therapiemöglichkeiten

„Glücklicher Baum“ tauften ihn die Menschen im alten China. Diesen Ehrentitel erhielt er, so die Legende, zum Dank dafür, dass er Menschen von lästigen Krankheiten wie Erkältungen und Halsschmerzen befreit und ihnen darüber hinaus Glück bringen soll.

Vielleicht gaben ihm die Chinesen den Namen aber auch aufgrund seines imposanten Erscheinungsbilds an Straßenrändern und Plätzen. Denn Camptotheca acuminata ist tatsächlich eine Schönheit. Die cremefarbenen Blüten sehen aus wie kleine Igel. Im Sommer entwickeln sich daraus zarte, bizarr geformte Früchte. Die dunkelgrünen Blätter sind länglich oval bis elliptisch und färben sich im Herbst leuchtend rötlich orange. Der Glücksbaum wird bis zu 16 Meter hoch.
Heilversuche mit seinen Wirkstoffen wurden bereits bei Krankheiten der Gallenblase, Leber, Milz und des Magens unternommen, angeblich auch bei Tumoren. Bei Hautbeschwerden wie der Schuppenflechte hofften die Menschen ebenfalls mit seiner Hilfe auf Linderung.

Medizin aus dem Reich der Mitte

„Camptotheca acuminata zählt zu den Heilpflanzen, die auch in der traditionellen Medizin Chinas von Bedeutung waren“, sagt Professor Henry Johannes Greten, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) und Dekan der Heidelberger Schule für Chinesische Medizin.

Die Heilkunde aus dem Reich der Mitte greift uraltes Wissen auf. „Das legendäre und älteste erhaltene Arzneibuch Chinas, das Shennong ben cao jing, beschreibt 365 Heilpflanzen. Es entstand bereits in vorchristlicher Zeit“, berichtet Greten. Seit wann es die TCM tatsächlich gibt, bleibt unklar. „Funde von Akupunkturnadeln sind bis zu 6000 Jahre alt“, weiß der Experte aus Heidelberg.

Die fernöstliche Medizin begreift den Menschen als ganzheitliches Wesen, zu dem Körper und Seele, aber auch die Lebensumstände, die Beziehung zur Familie und andere Einflüsse gehören, die sich auf sein Wohlbefinden auswirken. Den Gesundheitszustand verstehen die Anhänger der Lehre als Wechselspiel von Yin und Yang, zwei gegensätzlichen, aber einander ergänzenden Kräften.
Dazu passt auch der Glücksbaum mit seinen zwei Gesichtern: Einerseits ist er einfach nur schön, andererseits besitzt er ein großes Heilpotenzial. Die moderne Medizin interessiert sich vor allem für den Inhaltsstoff Camptothecin, der tumorhemmend wirkt. Ärzte setzen ihn heute in abgewandelter Form bei Krebspatienten ein.

Ein Stoff bremst den Krebs

„Wir verwenden Camptothecin nicht direkt, es ist nicht so gut verträglich“, erklärt Professor Manfred Jung vom Pharmazeutischen Institut der Universität Freiburg. Die daraus halbsynthetisch hergestellten Arzneistoffe Topotecan und Irinotecan werden bei bestimmten Formen von Lungenkarzinomen, wiederkehrendem Gebärmutterhalskrebs und Tumoren im Dickdarm eingesetzt.
„Dass diese Stoffe das Krebswachstum bremsen, haben Forscher im Rahmen einer Reihenuntersuchung entdeckt“, sagt Experte Jung. Camptotheca acuminata war ein Glückstreffer bei dieser Suche. Die Chinesen wussten schon vor Jahrhunderten, dass es sich um einen „glücklichen Baum“ handelt.

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