Früher Kontakt mit Krankheitserregern könnte das Krebsrisiko senken, vermuten Forscher. Experten warnen davor, aus dieser Theorie falsche Schlüsse zu ziehen

Textilarbeiterin müsste man sein, Chinesin und in einer Baumwollfabrik in Schanghai täglich eine Menge Staub einatmen – zumindest, wenn man Professor Harvey Checkoway glaubt. Der Umweltmediziner an der Universität von Washington in Seattle (USA) schließt aus seinen Studien, dass Frauen seltener an Brust-, Eierstock- und einer Reihe anderer Krebsarten erkranken, wenn sie über längere Zeit Fabrikstaub inhalieren. 
 
Guiseppe Mastrangelo von der Universität in Padua (Italien) haben es eher die Milchbauern angetan. Wer täglich im Viehstall steht, ist seinen Studien zufolge seltener von Lungenkrebs betroffen als Landwirte, die nur auf dem Feld oder in Obstgärten arbeiten. Die beiden Forscher zählen zu den Kronzeugen der folgenden Theorie: Schmutz, die darin befindlichen Mikroben oder deren Stoffwechselprodukte stählen das Immunsystem und machen es so fit für den Kampf gegen Krebszellen. Auch vor Allergien und Autoimmunleiden – also fehlgeleiteten Angriffen der Körperabwehr – soll Dreck schützen.
 

Doch wie das mit unbewiesenen Theorien so ist, rufen sie auch Zweifler und Kritiker auf den Plan, die auf widersprüchliche Studienergebnisse und Lücken im Thesengebäude hinweisen. Sie warnen davor, aus einer noch nicht erhärteten Theorie bereits Therapien abzuleiten. Vor allem raten sie dringend davon ab, auf Impfungen zu verzichten, damit der Körper sich möglichst oft mit Krankheitserregern herumschlagen muss. 
 
Molekulare Ursachen unklar
 

„Vorläufig haben wir es nur mit Beobachtungen zu tun, die erst überprüft werden müssen“, erklärt der Bonner Immunforscher Professor Joachim Schultze. Dazu gehöre es, die eventuell dahinterstehenden molekularen Vorgänge aufzuklären. Lediglich auf einem Feld ist die Beweislage recht eindeutig: Wer als Kleinkind viel mit anderen Kindern zusammen ist oder sich häufig in Tierställen aufhält, leidet in späteren Jahren seltener an Allergien und Asthma. Bäuerinnen geben diese Schutzwirkung bereits während der Schwangerschaft an ihre Babys weiter, fanden neuseeländische und deutsche Forscher kürzlich heraus.
 
Dennoch wäre es ein riskantes Experiment, die Krabbelgruppe in den Kuhstall zu verlegen. „Empfehlungen könnte man nur geben, wenn man wüsste, wie der Schutzeffekt funktioniert“, betont Professorin Erika von Mutius, Leiterin der Asthma- und Allergieambulanz am Dr. von Haunerschen Kinderspital in München und führende Forscherin auf dem Gebiet. Welche Stoffe in der Luft oder welche Erreger das Allergierisiko senken, bleibt für die Forscher jedoch weiter ein Rätsel. Zudem irritiert der Befund einer großen dänischen Studie, dass bestimmte Erreger, die Erkältungen und Magen-Darm-Infekte verursachen, das Risiko für die Allergiekrankheit Neurodermitis sogar steigern. 
 
Reaktionen auf Ungleichgewichte
 
Nach einer Erklärung für solche Widersprüche suchen schwedische Forscher. Ihre Idee: Nicht die Krankheitserreger unter den Bakterien, sondern die nützlichen, die unseren Darm besiedeln, liefern den Schlüssel. Erste Ergebnisse unterstützen diese Annahme: Kinder von Bauernhöfen, die seltener an Allergien erkranken, wiesen bereits als Babys eine vielfältigere Darmflora auf.
 
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