Die erste Gentherapie in Europa soll eine seltene Stoffwechselkrankheit heilen

Die Idee an sich ist genial: Krankheiten, die auf einfa­chen Defekten im Erbmaterial beruhen, sollen geheilt werden, indem korrekte Exemplare des mutierten Gens in Zellen der Patienten eingeschleust werden. Seit 1990 erproben Forscher dieses Konzept.

Doch als ein Patient im Jahr 1999 aufgrund einer solchen Behandlung starb, geriet die Gentherapie erstmals in Verruf. Wenige Jahre später erkrankten in Frankreich Kinder an Leukämie, nachdem Forscher mit einer Genspritze gegen deren Immunschwäche vorgegangen waren – die in die Zellen eingebaute DNA hatte auch schlummern­de Krebsgene aktiviert. In den vergangenen Jahren weckten Erfolge der Genforscher bei Augen­­erkrankungen und einer Form der Bluterkrankheit neue Hoffnung.

Gestörte Fettverwertung bei Erbkrankheit

Dennoch kommt die erste Zulassung einer Gentherapie durch die Euro­­päische Arzneimittelbehörde (EMA) überraschend. Die Behandlung richtet sich gegen die „Lipoproteinlipase-Defizienz“. Dabei ist das Gen für ein Enzym defekt, das für den Abbau von Fettpartikeln („Chylomikronen“) im Blut und die Verwertung der enthaltenen Fettsäuren wichtig ist. Als Folgen des erschwerten Abbaus drohen eine teils lebensbedrohliche, schwere Bauchspeicheldrüsen-Entzündung mit heftigen Bauchschmerzen, Fieber und Brechreiz sowie knotenförmige Fetteinlagerungen in die Haut.

Da es bisher keine andere Behandlung gibt, müssen die Patienten sich äußerst fettarm ernähren. Ein bis zwei Menschen unter einer Million leiden an der Erbkrankheit. Weil das Leiden so selten vorkommt, konnten die Amsterdamer Hersteller nur die Erfahrung mit 27 gentherapeutisch behandelten Patienten aus drei Studien vorlegen. Entsprechend schwer tat sich der zuständige Ausschuss der EMA mit der Entscheidung: Zweimal lehnte er den Zulassungsantrag ab, erst im dritten Anlauf stimmte er zu.

Langes Zulassungsverfahren für neue Therapieform

Die niederländische Entwickler-Firma musste inzwischen Insolvenz anmelden. Nun hat ein ebenfalls in Amsterdam ansässiges Biotechnik-Unternehmen die Vermarktung des ­Produkts und zudem die Entwickler-Firma übernommen. Das Zulassungsverfahren hat wohl auch deshalb so lange gedauert, weil es sich um eine völlig neue Therapieform handelt. Die Medizin stehe zwar noch am Beginn einer großen Lernkurve, aber die erste Zulassung sei schon ein Meilenstein, urteilen Forscher.
Die EMA stellt strenge Anforderungen an die Anwendung der neuen Behandlungsart: Diese ist nur für Patienten zugelassen, bei denen die Diät nicht ausreicht und die bereits an schweren oder wiederholten Entzündungen der Bauchspeicheldrüse leiden. Unter diesen Voraussetzungen übersteige der Nutzen das Risiko, urteilt der EMA-Ausschus. Den Studien zufolge erleiden die Patienten dank der Behandlung seltener Entzündungen der Bauchspeicheldrüse, die zudem leichter verlaufen.

Wirkdauer noch ungewiss

Unklar ist wegen der geringen Patientenzahl noch, wie lange die Wirkung der Spritzen anhält und wie oft die Therapie wiederholt werden muss. Womöglich wird sich dies bei der künftigen Anwendung erweisen, denn der Hersteller muss den Therapieverlauf überwachen und der EMA die dabei gesammelten Daten vorlegen – auch um mögliche Nebenwirkungen zu erfassen. Die Erfahrungen aus diesem ersten Zulassungsprozess werden das ganze Feld wahrscheinlich deutlich voranbringen. Allerdings rechnet man nicht damit, dass der ersten Frei­gabe sofort eine Lawine weiterer Zulassungen folgt.

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