Sie sind biegsam, können aber trotzdem brechen. Meistens reicht ein Gips, manchmal muss operiert werden

Sobald Kinder mobil werden, passiert es oft ganz schnell: Sie stolpern beim Wettrennen, fallen von der Schaukel oder stürzen beim Laufradfahren. Wenn das Kleine dann nicht nur laut brüllt, sondern seinen Arm nicht mehr bewegen möchte oder hinkt, sollten Eltern an einen Bruch denken – selbst wenn sie keine Schwellung oder einen Bluterguss entdecken können.
 
Meistens verletzen sich Kinder am Unterarm, mit dem sie sich instinktiv beim Sturz abstützen. „Dabei knackst dann die Elle oder Speiche in der Nähe des Handgelenks“, erklärt Dr. Winfried Max Baumann, Kinderchirurg aus München.
 
In den meisten Fällen können Ärzte die besorgten Eltern beruhigen. Kinder verfügen über gute Selbstheilungskräfte, die Natur gleicht kleinere Schäden aus. Der Grund: Bei Kindern sind die Wachstumsfugen noch offen. Diese sitzen am Ende der langen Röhrenknochen von Armen und Beinen. „Sie sorgen letztlich dafür, dass sich kleinere Fehlstellungen von selbst durch das Längenwachstum korrigieren“, sagt Dr. Markus Keßler, Leiter der kindertraumatologischen Sprechstunde an der Kinderchirurgie des Universitätsklinikums Heidelberg.

Das bedeutet, dass ein etwas krumm zusammengewachsener Knochen sich wieder auswächst und ohne Einschränkung bewegt werden kann. Allerdings, so der Mediziner, kommt es darauf an, wo sich der Bruch genau befindet. Nicht jede Wachstumsfuge beteiligt sich gleichermaßen aktiv am Längenwachstum. „Wir würden beispielsweise einen schulternahen Bruch am Oberarm mit einem 40°-Achsknick bei Kindern unter 12 Jahren nicht operieren, das korrigiert sich von alleine“, so der Experte. Anders bei einem Bruch am Ellbogen. Hier greifen die Ärzte schon ein, wenn der Knochen nur wenige Grad geknickt ist.

Ein Großteil der Frakturen, wie Mediziner einen Knochenbruch nennen, lässt sich beim Nachwuchs einfacher behandeln als bei Erwachsenen. Denn Kinderknochen sind biegsam – wie junge Äste. Ihre Knochenhaut ist so elastisch, dass sie unter großem Druck nicht reißt, sondern nur der darunterliegende Knochenschaft. Grünholzbrüche heißen diese Frakturen deshalb auch. Zwei Varianten unterscheiden die Ärzte: Bleibt die Knochenhaut rundherum intakt, sprechen sie von einem Wulstbruch. Im Röntgenbild sieht man ihn als eine kleine Verdickung. „Den Bruchstücken ist damit der Weg vorgegeben, wie sie heilen sollen“, erklärt Keßler. Ein Gips, der den Arm ruhig stellt, genügt dann.

Bei der zweiten Variante knickt der Knochen so stark, dass seine Hülle zwar auf der einen Seite noch intakt, aber auf der anderen Seite eingerissen ist. „Wir müssen dann zunächst den Knochen wieder aufrichten. Dazu bekommt der kleine Patient eine Narkose, manchmal ist dies auch in örtlicher Betäubung möglich“, sagt Keßler. Eine Fixierung des Knochens durch Drähte oder Nägel hängt dann von Alter und Ausmaß ab. Manchmal passiert es auch, dass sich in die Knochenlücke ein Stück der Knochenhaut eingeschlagen hat. Der Bruch würde an dieser Stelle nicht heilen, es käme zu einer Schiefstellung. „In so einem Fall ist es nötig, den Knochen komplett durchzubrechen und anschließend mit einem Gipsverband zu stabilisieren“, erklärt Kinderchirurg Baumann.
 
Mehr Probleme kann ein Bruch machen, der eine Wachstumsfuge verletzt. Denn im schlimmsten Fall könnte eine Wachstumsstörung auftreten. Um das zu verhindern, genügt es manchmal, den Knochen wieder aufzurichten und ihn mit einem Gips ruhig zu stellen. Reicht das nicht, müssen die Chirurgen operieren. „Brüche im Bereich des Unter- und Oberschenkels sowie am Ellbogen brauchen häufig zusätzlich eine Fixierung, weil sie leicht wegrutschen können“, erklärt Experte Keßler. Sind das Kind und seine Knochen noch sehr klein, verwenden die Ärzte dafür Drähte oder Schrauben. Sie halten den Knochen zusammen.

Wichtig ist, dass das Stabilisierungssystem der Größe der Fraktur angepasst ist. Hilfsmittel, die für Erwachsene verwendet werden, sind zu groß. Sie würden die Heilung hemmen, könnten die Wachstumsfuge verletzen und Folgeschäden hervorrufen. Platten sollten bei Kindern unter zehn Jahren nicht verwendet werden. „Wir Kinderchirurgen wissen um diese Besonderheiten. Deshalb gehört die Versorgung eines kindlichen Knochenbruches immer in die Hände eines Fachmannes“, sagt Keßler. Besondere Vorsicht ist bei Brüchen nötig, die in ein Gelenk reinragen. Hier können schon minimale Verschiebungen dazu führen, dass sich das Gelenk später schneller abnutzt. „Denn an den Gelenken gibt es keine Reparaturmechanismen“, so Baumann.
 
Viele Knochenbrüche lassen sich durch Abtasten feststellen. Ein Röntgenbild ist dann unter Umständen nicht notwendig. Auch zum Abschluss einer Behandlung kann meist darauf verzichtet werden. „Schmerzt die ehemalige Bruchstelle auf Druck nicht mehr, wissen wir, dass alles verheilt ist“, erklärt Keßler. Doch manchmal braucht es ein bildgebendes Verfahren, und dann kommen die Ärzte meist nicht um das Röntgen herum. „Wir wägen aber immer genau ab, ob es tatsächlich sein muss“, versichert Baumann. Bei manchen Frakturen, zum Beispiel der des Schlüsselbeins, verwenden die Kinderchirurgen auch Ultraschall.

Ein Gips sorgt dafür, dass das Kind sein gebrochenes Körperteil nicht belastet, damit es heilen kann. Durch die Ruhigstellung hören in der Regel auch die Schmerzen auf. Jammert ein kleiner Patient trotzdem, verursacht möglicherweise der Gips selbst die Schmerzen, zum Beispiel weil er winzige Fältchen wirft und die Haut verletzt. „Solchen Klagen müssen wir immer nachgehen und notfalls den Gips aufschneiden und einen neuen anlegen“, erklärt Experte Baumann.

Beschwert sich der Nachwuchs, weil es unter dem Gips juckt, hilft oftmals nur eines: ablenken. Auf keinen Fall sollten Kinder oder Eltern mit einem Gegenstand in den Gips hineinfahren, um zu kratzen. Die Verletzungsgefahr ist einfach zu groß.

Bei einem Kleinkind verheilen Brüche oft in zwei bis drei Wochen, bei einem Schulkind kann es schon mal bis zu fünf Wochen dauern. Krankengymnastik brauchen die wenigsten hinterher. Drei bis vier Wochen nachdem der Arzt den Gips abgenommen hat, kontrolliert er die Funktion des ehemals verletzten Körperteils. „Kinder haben in der Regel einen so hohen Bewegungsdrang, dass sie den Arm oder das Bein ohne Scheu einfach wieder benutzen“, sagt Baumann. Lediglich bei schwersten Verletzungen, zum Beispiel am Knie oder Sprunggelenk, muss manchmal der Gleichgewichtssinn mit gezielten Übungen trainiert werden.
 
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