Die japanische Heilmethode kennt eine Vielfalt an Griffen, um Beschwerden am Körper und im Geist zu lindern

Vor knapp 40 Jahren kam Shiatsu, eine aus Japan stammende Heilmethode, über die USA nach Europa. Wörtlich übersetzt bedeutet der Begriff „Fingerdruck“. Damit wird allerdings nur ein Aspekt erfasst, denn die Ausführenden arbeiten zusätzlich mit Handballen und -flächen, Ellbogen, Unterarmen, Knien, und nicht zuletzt setzen sie auch ihre Füße ein. Sie tun es entlang den Meridianen, jenen zwölf Leitbahnen, die nach fernöstlichem medizinischem Verständnis unseren Körper durchziehen und in denen das „Qi“ fließt, die Lebensenergie.
 
Diese gerät leicht aus dem Gleichgewicht: Entweder fließt sie zu schnell, oder, was häufiger vorkommt, sie staut sich. Dann versucht der Behandler die Energie auszubalancieren, um zu verhindern, dass  etwa Verspannungen oder ständiges Gehetztsein schließlich körperlich und seelisch krank machen. Um herauszufinden, wie stark oder schwach die Energie durch den Körper strömt, legt der Therapeut zu Beginn jeder Stunde seine Hände auf Bauch oder Rücken des Klienten und fühlt, wo dieser eher belebende oder beruhigende Anwendungen braucht. „Das Besondere am Shiatsu ist, dass wir uns bei der Arbeit aus der Körpermitte heraus an den Klienten lehnen“, erklärt Paula Heruth, Shiatsu-Praktikerin und Leiterin der Berliner Schule für Zen Shiatsu. Dabei gibt sie Gewicht an ihn ab – je nachdem, wieviel die jeweilige Stelle benötigt.
 
Setzt sie dabei zum Beispiel die Fingerkuppen ein, entsteht ein punktueller, sanfter Druck, mit dem Ellbogen gerät er intensiver, und kommt das Knie zum Einsatz, führt das zu einer großflächigen Berührung. Viel Muskelkraft braucht Paula Heruth bei den verschiedenen Griffen nicht. Dieses Vor- und Zurücklehnen, kombiniert mit unterschiedlichen Berührungen einschließlich Rotationen der Gelenke, gibt dem Liegenden das Gefühl, gedehnt zu werden. So lassen sich etwa Blockaden auflösen. Zudem wirkt die Behandlung auf Körper und Psyche ausgleichend. Sie regt unter anderem die Durchblutung und den Lymphfluss an und beeinflusst die Emotionen.
 
„Unsere Arbeit besteht nicht aus aktivem Ziehen oder Drücken, sondern ist eher ein passives Vorgehen. Das macht es den Patienten leicht, loszulassen und sich dem hinzugeben, was mit ihnen passiert!“, erläutert Isi Becker, Shiatsu-Praktikerin in der Klinik am Steigerwald in Gerolzhofen.
 
Hilft die klassische Schulmedizin allein nicht mehr weiter, kann Shiatsu – in der Klinik am Steigerwald mit traditioneller chinesischer Medizin kombiniert – bei chronisch Kranken gute Erfolge vorweisen. Diese Art der Behandlung unterscheidet sich deutlich von der westlichen Medizin, weil dabei nicht die Symptome einer Krankheit im Vordergrund stehen. „Je nach körperlichem und seelischem Zustand müssen andere Meridiane behandelt werden“, erklärt Becker. Wenn drei Patienten mit dem gleichen Problem kommen, etwa chronischen Rückenschmerzen, können bei jedem von ihnen unterschiedliche Leitbahnen betroffen sein. Welche das sind, findet ein erfahrener Shiatsu-Praktiker heraus.
 
„Shiatsu behandelt den ganzen Menschen und ist damit eine Methode, die uns hilft, immer wieder die Verbindung zwischen Körper und Seele herzustellen“, sagt Dr. Christian Schmincke, Leiter der Klinik am Steigerwald. „Allein das richtige Anfassen kann schon eine stark lösende und auf beruhigende Weise stimulierende Wirkung haben.“ Während der Behandlung bleibt die Aufmerksamkeit des Patienten stets bei den Händen des Therapeuten. Das schärft seine Wahrnehmung. So mancher merkt nach der ersten Stunde vielleicht erstmals in seinem Leben, wie angespannt er war – körperlich und seelisch.
 
Eine neue europaweite Studie der Universität Leeds (England) zeigt, dass vor allem Frauen ab 40 Shiatsu-Behandlungen schätzen. Ihre Gründe: Sie möchten insbesondere ihre Gesundheit erhalten und stärken oder durch die Anwendungen Stress besser bewältigen. Doch auch Rücken- und Muskelschmerzen sowie Haltungsprobleme gingen bei den Teilnehmerinnen zurück. Zudem veränderten viele von ihnen ihren Lebensstil. Durch ein gewandeltes Körperbewusstsein stellten sie ihre Ernährung um, nahmen sich mehr Zeit für Muße und machten Übungen, die ihnen die Shiatsu-Praktiker gezeigt hatten, um bestimmte Meridiane gezielt zu dehnen. Rund ein Fünftel der Frauen nahmen nach einer sechsmonatigen Behandlung weniger herkömmliche Medikamente ein und gingen seltener zum Arzt.
 
Für alle, die Berührungen mögen, ist Shiatsu geeignet. Eine Behandlung dauert rund eine Stunde und kostet ab 50 Euro. Interessierte sollten sich gut ausgebildete Praktiker suchen – die Gesellschaft für Shiatsu hilft dabei.
 
Bildnachweis: PhotoDisc/RYF