Die blassblau blühende Pflanze liefert nicht nur die Fasern für edles Leinen, sondern auch den Samen für gesundes Öl

Wer jetzt in Flandern, in der Normandie oder der Bretagne unterwegs ist, kann die blassblauen, sanft wogenden Blütenfelder bewundern: Im rauen Klima der Atlantikküste gedeiht der Flachs besonders gut. Über Jahrhunderte gehörte er zu den wichtigsten Kulturpflanzen in Europa. Linum usitatissimum, „äußerst nützlicher Lein“, lautet sein botanischer Name. Flachs war neben Schafwolle und Hanf lange Zeit der wichtigste Lieferant von Textilfasern. Mit Leinöl aus den Samen wird Holz imprägniert und Ölfarbe hergestellt. Als Nahrungsmittel ist Leinsamen eine bewährte Verdauungshilfe.

Durch die Verbreitung der Baumwolle und die Entwicklung synthetischer Fasern nahm die Bedeutung des Leinens ab. Doch seit einigen Jahren erlebt der zu den ältesten Nutzpflanzen gehörende Flachs eine Renaissance. Ernährungswissenschaftler beeindruckt der Gehalt des Leinsamens an Ballaststoffen, Omega-3-Fettsäuren und sekundä­­ren Pflanzenwirkstoffen, den Lignanen. Modeschöpfer und Wäschefabrikanten schätzen die Qualität des Garns. Und seit Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema ist, punktet die traditionsreiche Kulturpflanze zusätzlich: Flachs kommt auch im konventionellen Anbau mit wenig Dünger und Pflanzenschutzmitteln aus.

Edle und strapazierfähige Stoffe

Leinen kühlt und wirkt leicht desodorierend. Es eignet sich gut für luftige Sommerkleider und Anzüge, aber auch für Wäsche: Bettzeug und Handtücher aus dem saugfähigen Material wirken edel, sind strapazierfähig und mottenbeständig. Gewonnen wird die feine, reißfeste Bastfaser aus den Stängeln der Pflanze.

Frisch gepresstes Leinöl war über Jahrhunderte ein verbreitetes Speiseöl, blieb wegen seines starken Eigengeschmacks aber eher auf die ärmere Bevölkerung beschränkt. Heute wird es meist nur noch als regionale Spezialität geschätzt, zum Beispiel in der Lausitz. Ein Spreewald-Klassiker sind Pellkartoffeln mit Quark und Leinöl.

Ernährungswissenschaftler und Ärzte würden sich einen höheren Konsum wünschen, denn die im Leinöl reichlich enthaltenen Omega-3-Fettsäuren sind äußerst gesund. Sie senken den Cholesterinspiegel, hemmen Entzündungen und können dadurch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verringern.
Leinöl sollte man nur in kleinen Mengen kaufen, dunkel und kühl aufbewahren und rasch verbrauchen. Altes Leinöl schmeckt bitter und darf nicht mehr verzehrt werden.  Leinsamen liefert auch reichlich Ballaststoffe. Ganz, etwas gequetscht oder geschrotet, wirkt er leicht abfüh­rend. Dies beruht auf den Schleimstoffen auf der Oberfläche der Samen und den Zellulosefasern der Samenschale. Sie quellen im Darm auf und üben einen Dehnungsreiz auf die Darmwand aus. Empfehlung: pro Tag etwa drei Esslöffel Leinsamen zu sich nehmen, zum Beispiel im Müsli. Reichlich dazu trinken, damit der Leinsamen quellen kann.

Pflanzenhormone für Frauen

Leinsamen zeichnet sich auch durch einen hohen Gehalt an Lignanen aus. Diese Pflanzenwirkstoffe gehören zur Gruppe der Phytoöstrogene, die sich im menschlichen Körper an die Bindungsstellen für das weibliche Geschlechtshormon Östrogen heften. Eine Auswertung mehrerer Studien am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg zeigte, dass eine phytoöstrogenreiche Nahrung das Risiko senkt, nach den Wechseljahren an Brustkrebs zu erkranken. Eine Ernährung, die viele Pflanzenhormone enthält, kann auch Wechseljahresbeschwerden mildern.

Bildnachweis: W&B/Annette Falck