
Die Pflanze treibt ihre Wurzeln in Bäume und gilt seit Jahrhunderten als Glücksbringer und Heilmittel
Mit einer goldenen Sichel als Werkzeug sollen gallische Priester, die Druiden, auf Bäume geklettert sein und die charakteristischen Zweige der Mistel geerntet haben. Das schreibt bereits der römische Gelehrte Plinius im 1. Jahrhundert nach Christus. Ihm zufolge haben die Druiden nichts Heiligeres gekannt als die Mistel.
Das wintergrüne Gewächs genießt seit jeher hohes Ansehen in vielen europäischen Kulturen. Die Pflanzen wurden als Symbole des Lebens und Glücksbringer betrachtet. Die Mistel wächst als Halbschmarotzer in den Kronen vieler Baumarten. Dorthin gelangt sie durch Vögel, die das Fruchtfleisch der weißen Beeren fressen, die klebrigen Samen aber durch Schnabelwetzen an Ästen oder mit ihren Ausscheidungen verbreiten.
Die Pflanze treibt ihr Wurzelwerk in das Geäst der Bäume, um ihnen Wasser und Nährstoffe zu entziehen. Häufig sieht man sie auf Pappeln, Weiden, Ahorn- und Apfelbäumen, seltener auf Ulmen und Eichen. Buchen dagegen sind immun gegen Misteln. In der Volksmedizin galt die Mistel als Arzneipflanze. Heilkundige nutzten sie zur Behandlung von Milzerkrankungen, Geschwülsten, Epilepsie oder schlecht heilenden Wunden. Im 18. Jahrhundert wurde sie auch oft als Mittel der Wahl gegen Arthritis, Durchfälle oder Menstruationsstörungen verwendet.
Keine Selbstmedikation
Heute wird die Mistel kaum noch für medizinische Zwecke genutzt und ist nur in wenigen Präparaten enthalten. So soll sie angeblich bei leichtem Bluthochdruck helfen. Experten raten zur Vorsicht: Die Behandlung eines auch grenzwertigen Bluthochdrucks gehört immer in die Hand eines Arztes. Mistelpräparate eignen sich dabei nicht zur Selbstmedikation.
Einen höheren Stellenwert hat die Mistel dagegen in der Palliativmedizin, wo sie die Lebensqualität von Krebspatienten verbessern soll. Die Wirkung wird bestimmten Inhaltsstoffen, den Lektinen, zugeschrieben. Der genaue Mechanismus ist ungeklärt. Man vermutet jedoch, dass die Mistel eine unspezifische Anregung des Immunsystems bewirkt. Viele Tumorpatienten wollen auf die Misteltherapie als zusätzliche Maßnahme zur konventionellen Krebsbehandlung nicht verzichten. Auch hier gilt: Patienten sollten die Therapie mit ihrem behandelnden Arzt absprechen.
Wissenschaftler vom Zentrum für Integrative Medizin an der Universität Witten/Herdecke haben mehrere klinische Studien zusammenfassend analysiert: Sie konnten zeigen, dass Krebspatienten sowohl hinsichtlich der Überlebenszeit als auch der Lebensqualität von einer zusätzlichen Misteltherapie profitieren. Allerdings seien die Qualitätsunterschiede der Untersuchungen sehr groß. Höherwertige Studien würden geringere Effekte zeigen. Das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg sieht die Misteltherapie als Methode mit unbewiesener Wirksamkeit an.
Gut untersuchte Pflanze
Die Mistel ist heute wohl die am besten untersuchte Heilpflanze im komplementärmedizinischen Bereich der Onkologie. Von solchen Studien ahnten die Druiden der Antike noch nichts. Für sie war die Mistel eine mystische Pflanze, die ihre Heilkraft erst erlangte, wenn sie zu bestimmten Mondständen mit einer goldenen Sichel geerntet wurde.
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