Weitverbreitete Viren können das Gehirn schwer schädigen. Forscher untersuchen noch die Hintergründe
Die junge Frau klagte über plötzliche Angstzustände. Der Arzt in der Rettungsstelle rief den Psychiater. Dieser machte mit ihr einen Termin für die folgende Woche aus. Doch bereits zwei Tage später war sie wieder da – mit Kopfschmerzen und hochgradig verwirrt. Erst zwei Tage später, nach einer Computertomografie und einer Lumbalpunktion, kamen die Mediziner auf die richtige Fährte: Die Frau litt an einer Gehirnentzündung durch Herpesviren.
Die ist kein Einzelfall. Eine Herpes-Enzephalitis kann im Anfangsstadium unerkannt bleiben, was meist tragische Folgen hat. Wird die Infektion nämlich nicht oder zu spät behandelt, sterben daran mehr als 70 Prozent der Betroffenen. Diejenigen, die überleben, behalten in der Regel bleibende geistige Schäden zurück.
Knapp tausend Menschen im Jahr erleiden in Deutschland eine Herpes-Enzephalitis. Das ist allerdings wenig, wenn man bedenkt, wie verbreitet Herpes-simplex-Viren (HSV) sind: Etwa 90 Prozent aller Bundesbürger weisen Antikörper gegen den Erreger auf. Viele Menschen beherbergen das Virus dauerhaft in ihrem Nervensystem, von wo aus es gelegentlich die lästigen Lippenbläschen hervorruft. Wie aber kommt es dann, dass die Viren in einigen Fällen derartig schwere Schäden anrichten? Wer ist gefährdet? Was kann man tun?
Mit solchen Fragen beschäftigen sich Neurologen. Offenbar müssen Erreger und Wirt auf eine besondere Art miteinander reagieren, damit eine Enzephalitis ausbricht. Die exakten Zusammenhänge sind aber noch unbekannt. Fest steht zumindest, dass die Erkrankung „spontan“ auftritt, also ohne einen benennbaren Anlass wie eine Ansteckung oder Immunschwäche. Ein intaktes Immunsystem begünstigt diese Form der Herpes-Enzephalitis wahrscheinlich sogar. Demzufolge schädigen die Abwehrversuche des Körpers die Nervenzellen erst richtig.
Daher untersuchen Neurologen derzeit in einer europaweiten Studie, ob eine Unterdrückung des Immunsystems einen positiven Effekt auf den Krankheitsverlauf besitzt. Die eigentliche Therapie erfolgt mit Aciclovir, einem virushemmenden Medikament. Rechtzeitig angewandt, würde dies die Sterblichkeit bei einer Herpes-Enzephalitis immerhin auf 20 Prozent senken.
Auch andere Viren können dem Gehirn zusetzen. Grippeviren, der Erreger der Frühsommermeningoenzephalitis (FSME) oder die ebenfalls zur Herpes-Familie gehörenden Varizellen sind solche Kandidaten. Die Erkrankung fällt in diesen Fällen aber meist weniger schwer aus, obwohl auch Todesfälle vorkommen. Viren infizieren außerdem relativ häufig die Hirnhäute. Eine solche „virale Meningitis“ verläuft – im Gegegensatz zur bakteriellen Hirnhautentzündung – jedoch fast immer gutartig. Normalerweise toleriert das Nervensystem Virusinfektionen gut. Viren können dort lebenslang vorkommen, ohne dass irgendetwas passiert. Verschiedene und erst ansatzweise verstandene Umstände können die friedliche Koexistenz aber jäh beenden.
Auch sogenannte Kinderkrankheiten wie Mumps und vor allem Masern führen mitunter zu neurologischen Komplikationen. Bei jedem tausendsten Masernfall kommt es zu einer akuten, lebensgefährlichen Enzephalitis. Weit seltener, aber immer tödlich ist eine mögliche Spätfolge der Masern, die subakute sklerosierende Panenzephalitis. Vor diesen Infektionen und ihren Folgen schützen Impfungen. So eine gibt es gegen Herpes-simplex nicht. Die eingangs erwähnte Frau hatte Glück im Unglück. Nach Gabe von Aciclovir überstand sie die Hirnentzündung gut.
Bildnachweis: Panthermedia/James Steidl