Schon zur Zeit der Pharaonen setzten die Ägypter vermutlich das natürliche Antibiotikum zur Wundheilung ein

Vor 3500 Jahren beherrschten die Ägypter nicht nur die Kunst des Mumifizierens, sie waren auch bei der Behandlung von Verletzungen ihrer Zeit weit voraus. Um Wunden zu verarzten, die sich mit Bakterien infiziert hatten, fertigten die findigen Heiler aus Gerstenbrot Breiumschläge. Das Besondere daran: Das Brot, das sie dafür verwendeten, ließen sie vorher absichtlich verschimmeln.

Auch ihre Nachbarn zwischen Nil und Rotem Meer, die Nubier, stellten antibiotisch wirksame Substanzen her. 1600 Jahre alte Knochenfunde weisen eindeutige Spuren davon auf. Vermutlich entstand der Wirkstoff beim Bierbrauen, das sie von den Ägyptern kannten. Die dafür benö­tigte Hirse bewahrten die Wüsten­bewohner in unterirdischen Vorratskammern auf. Dort wurden die ­Körner von Bakterien befallen, die ähnlich wie manche Schimmelpilzarten ein Anti­bio­tikum produzieren: das Tetracyclin.

Mit ihrem Grundnahrungsmittel Hirsebrei und einem aus dem Getreide gebrauten bierähnlichen Getränk führten die Menschen diese Substanzen ihrem Körper zu. Ob sie das Antibiotikum nur zufällig oder gezielt zu therapeutischen Zwecken einsetzten,  ist bis heute unklar. Arabische Reitervölker behandelten einst sogar ihre Pferde vorbeugend mit Antibiotika. Die Stallburschen bewahrten die Sättel an Orten auf, wo sie leicht Schimmel ansetzten. In diesem Zustand legten sie die Sättel auf und verhinderten so teilweise, dass sich nach langen Ritten aufgescheuerte Stellen infizierten.

Auch im europäischen Kulturkreis  vertrauten die Menschen auf die geheimnisvolle Heilkraft des ­Schimmels. Seit der Antike legten Ärzte schimmelige Lappen auf Wunden, damit diese schneller heilen. Ähnlich wie die Ägypter züchteten auch sie gezielt Schimmelpilze. Dafür stellten sie spezielle Nährböden her, die vor allem aus Honig und Schafskot bestanden. Die darauf wachsenden Kulturen schabten die Heiler ab und nutzten sie zur Wundbehandlung.

Den einen oder anderen Patienten, dessen notdürftig vernähte Wunde sich infiziert hatte, mögen sie so vielleicht gerettet haben; wie vielen sie schadeten, ist offen. Worauf der Heilerfolg beruhte, konnten sie aber nicht erklären. Zur akademi­schen ­Medizin dürfe man solche Methoden nicht zählen, sagt Dr. Philipp Osten vom Institut für Geschichte und Ethik der Medizin an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. „Wir haben es mit magischen Handlungen zu tun.“

Welche besonderen Fähigkeiten der Schimmelpilz Penicillium chrysogenum besitzt, wissen wir erst seit 1928. Damals vergaß der Bakterio­loge ­Alexander Fleming vor dem Urlaub, in seinem Labor in London einige ­Kulturen mit krankheitserregenden Bakterien kühl zu lagern. Als er zurückkam, war in den Petrischalen der Bakterienrasen rings um den Schimmel verschwunden. Irgendetwas hatte die Erreger abgetötet. Weitere Unter­suchun­gen ergaben, dass die fragliche Substanz gegen viele Krankheitskeime wirkt. 1941 wagten Forscher den ers­ten Test am Menschen. Ihr Patient, ein Polizist, hatte sich beim Rasieren geschnitten. Weil sich die Wunde infizierte, kam es zu einer Blutvergiftung. Nach fünf Tagen Behandlung mit Penicillin sank das ­Fieber. Kurz darauf kehrte es aber zurück, und der Patient starb.

„Der Fall zeigt, dass ein Antibiotikum nicht abgesetzt werden darf, sobald es anschlägt“, erklärt Dr. Tim Eckmanns, Leiter des Fachgebiets Sur­­veillance am Berliner Robert-Koch-Institut. „Entscheidend für die ­Wirkung sind ­eine ausreichende Dosierung und die regelmäßige Anwendung über einen genügend langen Zeitraum.“

Die Erfolgsgeschichte des Arzneistoffs Penicillin brachte nicht wenige Ärzte dazu, das Kapitel Infektionskrankheiten für beendet zu erklären. Deutlich verfrüht, denn diese sind bis heute eine Geißel der Menschheit – und das, obwohl in der Zwischenzeit zahlreiche neue Antibiotika entdeckt wurden. Der Stoff aus dem Schimmelpilz kommt nach wie vor zum Einsatz. „Bei dafür empfindlichen Keimen“, sagt Tim Eckmanns, „ist Penicillin immer noch oft das Mittel der Wahl.“

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