Frauen und Männer reagieren auf Arzneimittel manchmal unterschiedlich. Deshalb müssen Wirkstoffe an beiden Geschlechtern getestet werden

Wo Licht ist, da ist auch Schatten. Dieser Satz gilt ebenso für Arzneimittel: Sie wirken zwar gegen Krankheiten und lindern Beschwerden, aber sie können auch Nebenwirkungen haben. Frauen sind davon 1,5-mal so häufig betroffen wie Männer. Diese Tatsache ließe sich mit einer einfachen Erklärung abtun: Sie leben länger als Männer und gehen eher zum Arzt, wenn sie Beschwerden haben. Somit nehmen sie im Lauf ihres Lebens meist mehr Medikamente ein. Davon profitieren sie, doch sie bekommen auch öfter die unangenehmen Seiten zu spüren.
 
Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn tatsächlich reagieren Frauen auf manche Wirkstoffe anders als Männer. So hat sich etwa gezeigt, dass ihnen das Herzmedikament Digoxin so, wie es früher dosiert wurde, mehr schadet als nützt. Grund: Bei ihnen konzentriert sich der Wirkstoff stärker im Blut als bei Männern. „Frauen haben eine geringere Nierenleistung. Daher scheidet ihr Körper Digoxin verzögert aus“, erklärt Professorin Vera Regitz-Zagrosek, Leiterin des Instituts für Geschlechterforschung in der Medizin an der Charité in Berlin. „Zudem lässt die Nierenfunktion von Frauen mit dem Alter stärker nach“, fügt sie hinzu.
 
Es gibt noch einen weiteren, banalen Grund für die erhöhten Wirkstoffkonzentrationen: Frauen sind im Durchschnitt 15 Kilogramm leichter als Männer. Aus diesen Gründen wird Frauen, die Digoxin benötigen, das Medikament nur noch in individuell abgestimmten Dosen verschrieben. Nicht nur die Nieren auch die Leber beeinflusst, in welchen Mengen ein Wirkstoff im Blut zirkuliert. Denn das Organ baut zahlreiche Arzneimittel ab. Einige verarbeitet die weibliche Leber langsamer als die männliche, manche schneller.
 
Nicht immer wirken sich solche Unterschiede auf die Gesundheit aus, aber manchmal eben doch. So kommt es gelegentlich vor, dass Medikamente wegen zu starker Nebenwirkungen zurückgezogen werden müssen – meist, weil sie Leber oder Herz schädigen. Frauen sind von solch schwerwiegenden Folgen öfter betroffen als Männer.
 
Vera Regitz-Zagrosek meint, dass Frauen in der Arzneimittelentwicklung vernachlässigt werden: „Schon die Grundlagenforschung wird zu 80 Prozent an männlichen Mäusen gemacht. Bereits hier entgehen einem die Unterschiede“, bemängelt sie. Damit blieben Chancen ungenutzt, optimale Therapien zu entwickeln – für Frauen und Männer. Das Manko setze sich fort, wenn es gilt, die Wirkstoffe an Menschen zu erproben.
 
„Klinische Studien werden überwiegend mit Männern durchgeführt“, kritisiert die Kardiologin die Untersuchungen zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Bei ihnen hätte der Frauenanteil meist unter 20 Prozent gelegen. Professor Marcus Müllner, Internist und Leiter der österreichischen Arzneimittelagentur, hingegen meint, dass Frauen mittlerweile in der klinischen Forschung nicht mehr benachteiligt würden. Müllner analysierte den Frauenanteil in europäischen Zulassungsstudien der Jahre 2000 bis 2003.
 
Hierfür wertete er 250 Studien zu 83 Arzneimitteln aus. Tatsächlich hatten an einigen relativ wenige Frauen teilgenommen. Bei Wirkstoffen gegen akute Herzbeschwerden etwa lag ihr Anteil nur bei 23 Prozent. Allerdings machen Frauen bei dieser Krankheit nur 28 Prozent der Patienten aus. „Statistisch sind die Frauen unterrepräsentiert, doch ich glaube nicht, dass das klinisch relevant ist“, kommentiert Müllner. Für die meisten Krankheiten fand er Frauen repräsentativ vertreten.
 
Ausnahmen: Hepatitis B, Typ-2-Diabetes und Bluthochdruck. Andererseits hatten an Studien zu Arthritis und Arthrose überproportional viele Frauen teilgenommen. Müllners Fazit aus den vorliegenden Ergebnissen: „Die Benachteiligung von Frauen in klinischen Studien ist derzeit kein Problem in der Arzneimittelzulassung.“ Allerdings gilt das nur für die jüngste Zeit. Bis in die späten 80er-Jahre waren die Teilnehmer fast ausschließlich Männer.
 
„Früher wurden Frauen oft prinzipiell von klinischen Studien ausgeschlossen“, erläutert Müllner. „Man wollte kein Risiko eingehen, verklagt zu werden, falls ein Kind mit Schäden auf die Welt kommt.“ Doch seitdem hat sich das zahlenmäßige Geschlechterverhältnis der Probanden grundlegend geändert. Vorreiter für den Wandel waren die USA, wo seit den 90er-Jahren die Frauenquote ständig gesteigert wurde. Heute sind Frauen sogar in der Mehrzahl: Nach Angaben der nationalen US-Gesundheitsinstitute lag im Jahr 2006 der Anteil weiblicher Versuchsteilnehmer an allen Studien bei 64 Prozent. Trotz solcher Erfolge rät Müllner zur Wachsamkeit. „Wir sollten darauf achten, dass Frauen immer repräsentativ vertreten sind“, mahnt der Experte.

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