Die Aromatherapie kann mehr als nur angenehm riechen – für Experten ist sie auch ein wichtiger Teil der Heilpflanzenkunde

Am Anfang der Aromatherapie, wie wir sie heute kennen, stand ein Knalleffekt. Im Jahr 1910 ereignete sich im Labor des französischen Chemikers und Parfümeurs René Gattefossé eine Explosion, bei der sich der Wissenschaftler Hände und Kopfhaut verbrannte. Die von Gasbrand befallenen Wunden behandelte er mit Lavendelöl und war erstaunt, wie schnell und narbenfrei sie verheilten. Gattefossé begann daraufhin, die ätherischen Öle zu erforschen und entwickelte 1928 die Aromatherapie.

Tatsächlich aber ist das Wissen um die heilsame Wirkung der Öle Tausende von Jahren alt und war schon im alten Ägypten bekannt. Heute haftet der Aromatherapie häufig das Etikett „esoterisch“ an – zu Unrecht, meinen Experten. Denn auch wenn es heute bessere Methoden gibt und ätherische Öle auf Brandwunden nichts mehr zu suchen haben, so ist ihr Einsatz doch ein anerkanntes Teilgebiet der Pflanzenheilkunde. „Sie besitzen eine hohe biologische Wirkung, aber auch Nebenwirkungen“, erläutert Jürgen Reichling, Professor für pharmazeutische Biologie an der Universität Heidelberg.
 
Lange Zeit glaubten Wissenschaftler, die ätherischen Öle seien nichts weiter als Zufalls- oder Abfallprodukte der Pflanzen. „Heute wissen wir: Die Pflanze nutzt sie, um sich gegen Infektionen, Insekten oder Pilze zu wehren“, berichtet Reichling. So lockt sie zum Beispiel mit Duftstoffen die natürlichen Feinde gefährlicher Insekten an oder ist dank der pilzhemmenden Wirkung ihrer ätherischen Öle gegen Pilzbefall geschützt.

Diese Eigenschaften nutzt auch die Aromatherapie. Viele ätherische Öle wie Teebaumöl, Eukalyptus oder Kamille töten krank machende Bakterien, Viren und Pilze ab. Reichling hat die Wirkung gegen Lippenherpes in Laborstudien erforscht. „Dabei zeigte sich eine sehr gute Wirkung, wenn die freien Viren eine Stunde vor Zellinfektion mit den ätherischen Ölen vorbehandelt wurden.“
 
Auch für die Biologin Dr. Christina Paulson hat sich die Aromatherapie bewährt: „Sie ist vielfältig einsetzbar, von Atemwegsinfekten bis zu Zahnfleischentzündungen“, sagt sie. Die meisten Öle werden durch Wasserdampf-Destillation gewonnen, andere – zum Beispiel die aus Zitronen- oder Orangenschalen – durch Kaltpressung. Dabei werden die Schalen zerkleinert, mit Wasser gemischt und zentrifugiert.
 
Für diese Verfahren sind manche Blüten zu empfindlich. Ihre Duftstoffe werden mit Alkohol oder Hexan gewonnen. Hexan-Auszüge wie Rosen-, Iris- oder Jasmin-Öl nennt man auch Absolues. Diese Düfte sind sehr intensiv – für eine Mischung genügt meist ein einziger Tropfen – und sehr teuer.
 
Ihre volle Wirkung entfalten die meisten Öle, wenn sie über die Haut aufgenommen werden, etwa als Bestandteil eines Massageöls. Die wichtigste Rolle spielt aber ihr Duft. Über die Nase gelangt das Duftsignal direkt ins Gehirn und erreicht dort das limbische System und den Hypothalamus. Dort werden eine Vielzahl von Hormonen reguliert und Gefühle ausgelöst.
 
Gerät ein Geruchsreiz in diesen Bereich, werden Nervenbotenstoffe ausgeschüttet, welche die Konzentration fördern. „Studien mit Schulklassen haben gezeigt, dass eine Mischung aus Zitrusölen und Lavendel die Kinder aufmerksamer macht“, sagt Professor Dietrich Wabner, Vorsitzender der National Oils Research Association (NORA International). Auch Serotonin, das Ruhe und Entspannung auslöst, wird durch Reize ätherischer Öle freigesetzt: „Die Wirkung auf die Serotonin-Ausschüttung konnte in Computertomografien nachgewiesen werden“, sagt Wabner. Das macht die Öle zudem für die Pflege und die Palliativmedizin interessant.

Zu Hause lassen sich die Öle für Inhalationen, Bäder und Massagen nutzen. Meist reichen wenige Tropfen, zum Beispiel in der Duftlampe. „Pur sollte man die Öle nie verwenden“, sagt Ingeborg Stadelmann vom Forum Essenzia. „Zudem sollte man beim Kauf auf qualitativ hochwertige Öle ohne naturidentische Stoffe und Konservierungsmittel achten.“
 
Christina Paulson rät, vor allem Zitrusöle schnell aufzubrauchen; nach einem Jahr wirken sie nicht mehr. Schwangere sollten mit ätherischen Ölen vorsichtig sein, da manche die Wehen auslösen –  ein Umstand, den Hebammen im Kreißsaal nutzen. Für Kleinkinder unter drei Jahren sind die Öle nicht geeignet, sie können Atemnot und Krampfanfälle hervorrufen.

Wer wissen will, welches Öl zu ihm passt, muss sich auf die Nase verlassen. „Wenn sie einverstanden ist, ist alles in Ordnung“, sagt Stadelmann. „Aber“, so Reichling, „auch wenn die Öle gegen viele Beschwerden wirken, können sie eine rationale Therapie nicht ersetzen.“
 
Bildnachweis: W&B/Brigitte Sporrer