Er folgt oft auf ungewohnte Anstrengung. Beim zweiten Mal hat sich der Körper bereits angepasst

Vor mehr als 50 Jahren führte der dänische Sportphysiologe Erling Asmussen folgen des Experiment durch: Er ließ Versuchspersonen bis zur Erschöpfung auf einen Stuhl und wieder heruntersteigen; Auf- und Abstieg erfolgten stets mit demselben Bein. Ergebnis: Das Aufstiegsbein ermüdete zuerst, tat aber später nicht weh. Im Abstiegsbein dagegen spürten die Teilnehmer am nächs ten Tag einen Muskelkater.
 
„Dieser tritt vor allem bei exzentrischen Muskelkontraktionen auf“, erklärt Dr. Peter Wastl, Sportwissenschaftler an der Universität Wuppertal, das Phänomen. „Das sind Belastungen, bei denen der Muskel sich anspannt, während er gedehnt wird.“ Bei jeder bremsenden Bewegung arbeiten Muskeln exzentrisch. Die Folgen spürten nicht nur die Teilnehmer an Asmussens Experiment – jeder Bergwanderer kennt den typischen Schmerz in den Oberschenkeln nach dem langen Abstieg ins Tal.
 
Winzige Risse sind die Ursache
Forscher untersuchten Proben von verkaterten Muskeln unter dem Mikroskop. Dabei entdeckten sie winzige Verletzungen in den molekularen „Motoren“, den sogenannten Sarkomeren. Tausende davon sind in einer Muskelfaser hintereinandergeschaltet. Die Fasern ziehen sich koordiniert zusammen und verkürzen so den Muskel. Die stärksten Kräfte wirken an den Z-Scheiben, dort, wo zwei Sarkomere aneinandergrenzen. Hier zerren von beiden Seiten die Eiweißfäden Aktin und Myosin.
 
Bei zu starker Belastung lösen sie sich aus ihren Verankerungen. Außerdem bekommen die Z-Scheiben Risse. Die geschädigten Sarkomere arbeiten jetzt nur noch mit verminderter Kraft oder fallen ganz aus. Davon spürt der Betroffene zunächst nichts, denn äußerlich bleiben die Muskelfasern intakt. Der Kater macht sich frühestens nach einigen Stunden bemerkbar und erreicht nach ein bis drei Tagen seinen Höhepunkt.
 
Professor Dieter Böning, Sportmediziner an der Freien Universität Berlin, erklärt, warum das so ist: „In den Muskeln werden die geschädigten Eiweißfäden zerlegt und abgebaut. Das hat zur Folge, dass Flüssigkeit aus dem Gewebe in die Muskelfasern zieht. Diese schwellen an und reizen die schmerzempfindlichen Nerven an der Außenseite.“ Böning rät, solche Signale ernst zu nehmen. „Rohe Kräfte würde ich jetzt nicht walten lassen“, empfiehlt er, „denn schließlich sind die Muskeln schon ein bisschen angefetzt.“
 
Nun nicht übertreiben
Wer seine sportliche Aktivität jetzt mit unverminderter Härte fortsetze, riskiere eine Zerrung oder gar einen Muskelfaserriss. Die Verletzungsgefahr erhöht sich vor allem bei schnellen und kräftezehrenden Sportarten. Dazu gehören etwa Tennis, Squash, Werfen und Springen in der Leichtathletik, aber auch Krafttraining. Alle Bewegungen mit mäßigem Kraftaufwand sind dagegen unproblematisch. Eine mehrtägige Bergwanderung etwa muss niemand abbrechen, nur weil die Muskeln verkatert sind. Leichte Belastungen lassen den Schmerz sogar schneller abklingen.
 
„Durch den erhöhten Stoffwechsel werden Schäden schneller repariert“, erklärt Wastl. Nach dem Sport lindert ein Saunabesuch oder ein warmes Bad die Beschwerden. Bewährt haben sich Badezusätze mit ätherischen Ölen, welche die Durchblutung anregen. Starke Schmerzen lassen sich auch mit entzündungshemmenden Schmerzmitteln bekämpfen. Nach etwa sieben Tagen ist ein Muskelkater ausgestanden. Wenn nicht, sollte man zum Arzt gehen. Das gilt auch, wenn Schmerzen gleich nach der Belastung auftreten. Denn sie haben andere Ursachen. Ein Muskelkater hinterlässt keine Schäden.
 
Im Gegenteil: Bereits nach der ersten Anstrengung beginnen die Muskelfasern, sich mit zusätzlichen Eiweißfäden und neuen Muskelfibrillen zu verstärken. Wer Tage bis Wochen später das gleiche Pensum wiederholt, spürt anschließend kaum noch Schmerzen. „Der beste Schutz vor Muskelkater ist Muskelkater“, fasst Böning zusammen. Und wer sich regelmäßig bewegt, gewinnt zudem langfristig an Kraft.
 
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