
Wie und wo Urlauber wirklich Erholung finden – statt Lärm und Hektik
Wie ein Schwarm Zugvögel reisen viele Menschen jedes Jahr in ein gemeinsames Sommerquartier. Sei es an die Adria, nach Mallorca oder an den Gardasee. Entsprechend laut ist das Geschnatter dort. Da plärrt der Freundschaftsbandverkäufer mit dem Eismann um die Wette, Touristen rangeln um den freien Sonnenschirm am Strand und die letzte Liege am Pool, begleitet vom Hupen und Brummen, das von der Straße herüberschallt. Die Ruhe suchen viele Reisende – und finden sie doch nicht.
Warum nicht mal in die Altmark fahren? Die Region im Norden Sachsen-Anhalts wirbt aktuell mit dem Slogan „Wenn Sie niemanden sehen wollen“ um Urlauber. Nicht jeder Altmarker ist glücklich über den Text. Da kann man ja gleich schreiben „am Arsch der Welt“, denken wohl einige. Jedoch ist es das, wonach sich viele Städter sehnen: endlich einmal seine Ruhe haben, zu sich kommen.
Keinen sehen, keinen hören
Das weiß auch Cornelia S. zu schätzen, die es immer wieder in die Altmark zieht – obwohl sie, wie sie sagt, auf der ganzen Welt daheim ist. In London und Australien hat sie schon gelebt, derzeit wohnt sie in Neuseeland. Neben ihrer Familie, die in Stendal in der Altmark lebt, sind es auch die Landschaft, die Weite und die Stille, die sie vermisst, wenn sie zu lange von dort fort war.
Stille ist ein seltenes Gut geworden in der heutigen Gesellschaft. Zum einen, weil der Verkehr immer weiter zunimmt, mehr Pkw über die Straßen rollen, mehr Flugzeuge in der Luft sind. Nach einer Studie des Umweltbundesamtes beeinträchtigt Verkehrslärm das Leben vieler Menschen. So fühlen sich 54 Prozent der deutschen Bürger vom Straßenverkehr gestört oder belästigt, 34 Prozent vom Schienen- und 23 Prozent vom Flugverkehr. Und das große Dröhnen dringt in immer abgelegenere Gebiete vor. In den USA haben Wissenschaftler, die in den Nationalparks forschen, festgestellt, dass selbst im Yellowstone-Nationalpark erheblicher Fluglärm zu hören ist.
Er übertöne oft Naturgeräusche wie Vogelgezwitscher oder das Spritzen der Geysire – also die Geräusche, die Gäste in den Parks eigentlich erwarten. Die Forscher prognostizieren eine Verdoppelung der Lärmbelastung in den kommenden 30 Jahren. Dabei verursachen Flugreisende, die Stille suchen, einen Teil des Lärms selbst.
Schweigen statt ständig erreichbar sein
Doch es ist nicht nur der äußere Lärm, dem Urlauber entfliehen müssen, um Erholung zu finden. Auch das gierige Handy in der Hosentasche kann einem die Ruhe rauben, die ständige Erreichbarkeit.
Hier setzt Serdar S. an, wenn er frei hat. Er reist in die innere Stille, er schaltet im Wortsinn ab. Sein Telefon, den Computer, das Handy. Er ist das ganze Jahr über auf langen Tourneen, er verdient sein Geld mit Reden. In den Ferien will er so wenig wie möglich sagen müssen. Nicht, weil er es nicht gut könnte, sondern weil er immer sofort um eine präzise Formulierung ringt, tatsächlich etwas ausdrücken möchte. In seinem letzten Urlaub ist es ihm sogar passiert, dass er zwei Wochen nicht gesprochen hat. Er braucht dazu kein Schweigekloster. Mal verreist er allein, mal verbringt er freie Zeit zu Hause. Er fokussiert seine Gespräche auf das Nötige und Wesentliche.
Wie alles im Leben hat die Stille aber auch ihre dunklen Seiten. Nicht jedem tut sie gut. Manch Extrovertierter entspannt im Trubel großer Städte vielleicht besser als in der Abgeschiedenheit der Natur. Manch Geselliger mag sogar im Urlaub nicht auf Gespräche und Anrufe verzichten. Und die abgrundtiefe Stille, die erträgt ohnehin fast niemand. Die völlige Abwesenheit von Geräuschen erinnert auch an die Abwesenheit von Leben, wie das Wort Grabesstille zeigt.
Wenn Stille alles absorbiert, verursacht sie sogar körperliche und seelische Probleme. Das haben Versuche in sogenannten schalltoten beziehungsweise reflexionsarmen Zimmern gezeigt. Das sind Räume, deren Wände jeden Ton schlucken, anstatt ihn zurückzuwerfen, und alle Klänge von draußen aussperren. Bei Personen, die sich darin aufhalten, erzeugt das ein dumpfes Gefühl, eine Ahnung, dass etwas nicht stimmt. Nicht zufällig weicht die Musik in einem Thriller oft dem Schweigen, kurz bevor die Spannung ihren Höhepunkt erreicht. Die angenehmste Stille ist nie total, sondern durchzogen von leisen Geräuschen – sei es Wellenrauschen, Vogelgezwitscher, Musik oder das Gemurmel und Lachen von Menschen in der Nähe.
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