Bei Kontaktsportarten wie Fußball kommt es vermehrt zu Kopfverletzungen. Experten befürchten Spätfolgen und mahnen zur Vorsorge

Es war der frühe Höhepunkt einer Sportlerlaufbahn, und trotzdem wusste Christoph Kramer nach 17 Minuten nicht mehr, wo er sich befand. Beim Finale der Fußballwelt­meisterschaft in Rio de Janeiro war der 23-jährige Mittelfeldspieler mit dem Argentinier Ezequiel Garay zusammengeprallt und einige Zeit benommen liegen geblieben. Ausgewechselt wurde er knapp eine Viertelstunde später, nachdem er den Schiedsrichter zweimal gefragt hatte, welches Spiel gerade laufe.
Schädel-Hirn-Traumata – also Verletzungen des Kopfes, die zu unterschiedlich starken neurologischen Ausfällen führen – stellen Fachleute in zunehmendem Maß bei verletzungsträchtigen Sportarten fest. Das hat unterschiedliche Ursachen. Zum einen ist der Sport viel schneller geworden, zum anderen kann man heute direkte Schäden und insbesondere Folgeschäden sehr viel genauer messen.

Das hat in den vergangenen Jahren vor allem zu der Erkenntnis geführt, dass die sogenannte Gehirnerschütterung oft ernster und folgenreicher ausfällt, als lange angenommen. Traditionell handelt es sich um eine Ausschlussdiagnose, die der Arzt stellt, wenn nach einem Kopftrauma beim Patienten zwar vorübergehend neurologische Zeichen wie Bewusstlosigkeit oder Erbrechen aufgetreten sind, aber keine Verletzung des Gehirns erkennbar ist. Ärzte wissen heute aber durch feinere Untersuchungsmethoden, dass es dabei zu kleineren Schäden an den Nerven kommt. Sie brauchen dann einige Wochen, um sich zu regenerieren.

Doch eben das geschieht offenbar häufig nicht. In den USA machen Ärzte seit einigen Jahren ein eigenes Krankheitsbild als Folge wiederholter Schädel-Hirn-Traumata aus. Die „chronisch traumatische Enzephalopathie“ (CTE) äußert sich in Depressionen, Gedächtnisstörungen und vorzeitigem geistigen Abbau bis hin zur Demenz. Vor allem professionelle American-Football-Spieler sollen betroffen sein, jene martialisch behelmten Athleten, die bei ihrem rauen Sport naturgemäß einiges einstecken müssen.
Problematisch scheint aber nicht nur das Ausmaß der Gewalteinwirkung zu sein, sondern auch ihre Wiederholungsfrequenz. Grundsätzlich können sich leichtere Schäden zurückbilden, doch die dazu nötige Zeit wird gerade im Profi­sport meist nicht eingehalten. Kommt es dann zu einer erneuten Verletzung, erholt sich das Gehirn irgendwann nicht mehr.

Auch bei Fußballern haben Wissenschaftler eine Häufung langfristiger Defizite in den Bereichen Gedächtnis, planendes Denken und Wahrnehmung festgestellt. Im Breitensport mögen Tempo, Gewalteinwirkung und Spielbelastung geringer sein, doch in abgeschwächter Form könnte das Problem ebenso bestehen. 60 Prozent aller Spieler in Schul- und Universitätsmannschaften machen im Lauf ihrer Spielzeit mindestens einmal eine Gehirnerschütterung durch, wie kanadische Neuroforscher in der Fachzeitschrift Brain Injury publizierten. Andere Daten zeigen, dass bereits ein einmaliges leichtes Schädel-Hirn-Trauma bei jedem zehnten Kind anschließend zu Stimmungsschwankungen führt. Postkommotionelles Syndrom nennen Fach­leute diese Störung.

Die hirnbiologische Grundlage der geistigen und seelischen Probleme sind offenbar mehr oder weniger starke Scher-Verletzungen der Nervenbahnen. Die Nervenfortsätze zerreißen entweder direkt, oder ihre Hülle nimmt Schaden, sodass es zu verzögertem Zelluntergang kommt. Neuropsychologisches Training kann helfen, resultierende Gedächtnis- oder Aufmerksamkeitsstörungen zu mindern.
Um Ausmaß und Verlauf solcher Schäden besser zu erfassen, haben Forscher einen Test entwickelt. In einer Studie mit 46 Sportlern zeigte sich, dass eine Gehirnerschütterung mit dem ­Anstieg eines besonderen Proteins im Blut einhergeht. Die Mannschaftsärzte bräuchten sich damit vielleicht zukünftig am Spielfeldrand nicht mehr nur darauf zu beschränken, nach der Orientierung zu fragen.

Bildnachweis: ThinkstockPixland