Die Ansprache naht, und die Aufregung wächst. Manchmal wird daraus sogar Angst – die sich wegtrainieren lässt

„Das menschliche Gehirn ist eine großartige Sache: Es funktioniert vom Moment der Geburt an bis zu dem Zeitpunkt, an dem du aufstehst, um eine Rede zu halten.“ Der amerikanische Schriftsteller Mark Twain, dem dieser Satz zugeschrieben wird, schien sich mit Lampenfieber auszukennen. Plötzlicher Gedächtnisverlust befällt viele Menschen vor öffentlichen Auftritten. Manche fangen an zu schwitzen, andere bringen kaum noch ein Wort heraus, weil ihr Mund zu trocken ist und ihr Herz wild pocht. Wieder andere beginnen zu zittern.

Doch die nervliche Anspannung hat auch eine gute Seite. Ohne sie wären die meisten Reden todlangweilig. Denn es gibt auch ein positives Lampenfieber, bei dem es anregend im Bauch kribbelt. Davon unterschieden wird die schädliche Auftrittsangst, die das Leis­tungsvermögen stark beeinträchtigt. Bei rund zwei Dritteln der Menschen überwiegt die Angst, doch das lässt sich ändern, sagen Experten: Durch Training kann man lernen, das Nega­tive zu überwinden.

Das fällt uns schwer, denn Lampen­fieber ist tief in unserem Verhalten und in der Chemie des Körpers verwurzelt. Physiologisch gesehen handelt es sich um eine Stressreaktion, bei der die Nebennieren die Hormone Adrenalin und Noradrenalin ausschütten. Das Gehirn wird in Alarmbereitschaft versetzt. Der Körper erhält einen Energieschub und ist bereit zum Kampf oder zur Flucht. Dem Urmenschen, der von einer feindlichen Horde umzingelt war, hat das geholfen. Heute ist die Reaktion in den meisten Fällen übertrieben.

Bei Musikern jedoch kann Lampenfieber die Existenz bedrohen: Ein falscher Ton im Konzert schädigt den Ruf. Deshalb stammen viele Ratschläge von Musikern. Davon können alle profitieren, die unter sozialen Phobien wie Redeangst leiden. Oft dämpft schon eine gute Vorbereitung das Lampenfieber. Darüber hinaus kommen auch körperbetonte und mentale Techniken infrage, zum Beispiel die progressive Muskelentspannung nach Jacobson oder die Gedankenstopp-Methode, bei der störende Gedanken durch ein laut ausgesprochenes oder nur vorgestelltes „Stopp“ ausgeblendet werden.

Bei akuter Angst hilft bewusstes Atmen – etwa im 3-5-7-Sekunden-Takt: tief Luft holen, den Atem anhalten und ganz langsam ausatmen. Bewährt haben sich teilweise auch Klopftechniken, bei denen die Finger sanft auf Akupressurpunkte im Gesicht, an Händen und Oberkörper trommeln – zum Beispiel mittig zwischen Oberlippe und Nase. Nur im Notfall verordnen einige Ärzte Betablocker oder andere Arzneimittel – etwa wenn ein Musiker kurz vor dem Auftritt eine Panikattacke erleidet. Andere Ärzte lehnen die medikamentöse Behandlung von Lampenfieber ab. Ihre Patienten, so fürchten sie, könnten sich an den schnellen Griff zur Tablette gewöhnen. Auch die Leistung leidet unter dem Einfluss mancher Medikamente.

Die Konfrontation mit dem eigenen Lampenfieber vermag das Selbstbewusstsein zu festigen. Den Mut, den man dafür braucht, kann man stärken wie einen Muskel. Das erste Gebot lautet: „Du sollst nicht kneifen.“ Man sollte sich also nicht davor drücken, wenn es gilt, eine Rede zu halten, sondern die Gelegenheit zum Üben ergreifen.

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